14.03.2023
Mobilität

Gemeinsam die Mobilität der Zukunft gestalten

Wissen Sie, ich fahre gerne Auto. Und damit gehöre ich zu einer grossen Mehrheit in Liechtenstein, gibt es hier doch im Durchschnitt fast gleich viele Pkw wie Einwohnende ab 18 Jahren. Konkret: Auf eine Person ab 18 Jahren kommen 0.94 Pkw – ziemlich sicher Weltrekord! Das Auto ist aber auch praktisch, will man seine Ruhe haben und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ausser man hat einen Termin um 17.30 in Schaan oder Vaduz. Oder man muss schnell um 8.00 Uhr von Bendern nach Eschen. Dann steht man nämlich im Stau und verpasst den Termin. Oder man fährt durch die Wohngebiete. Geht halt nicht anders, oder?
Peter Beck, C hoch drei GmbH

Eine Tatsache ist unumstritten: Der Verkehr in Liechtenstein wächst stetig. Dieses Wachstum hängt mit vielen Faktoren zusammen. Das Wirtschaftswachstum zählt dabei sicher zu einem der wichtigsten. Die damit verbundene steigende Anzahl an Arbeitsplätzen in den letzten Jahren wurde zum grossen Teil durch Zupendler:innen bewältigt. Während im Jahr 2000 noch 11’192 Personen jeden Tag aus den umliegenden Ländern nach Liechtenstein zum Arbeiten kamen, waren es 2021 bereits 23’249. Die Anzahl der Zupendler:innen hat sich also in 21 Jahren mehr als verdoppelt! Und es werden mit Sicherheit nicht weniger werden, bedenkt man nur den Wegfall der Babyboomer-Jahrgänge, der in den nächsten zehn Jahren auf dem Arbeitsmarkt kompensiert werden muss. Man kann also davon ausgehen, dass auch in Zukunft immer mehr Menschen nach Liechtenstein pendeln werden.

 

Hausgemachter Verkehr als zusätzlicher Faktor

Neben dem wirtschaftlich bedingten Zupendler:innen-Verkehr, nimmt aber auch der hausgemachte immer stärker zu. Das Auto ist für viele nach wie vor das Verkehrsmittel für die Freizeit und den Einkauf. Zudem beanspruchen auch viele Binnenpendler:innen in Liechtenstein Tag für Tag den Strassenraum. 13’847 in Liechtenstein wohnhafte Personen arbeiteten 2020 in einer anderen Gemeinde, als sie wohnten. Auch diese nutzen zu einem grossen Teil das Auto für diesen Arbeitsweg und – weil die A13 häufig die schnellste Verbindung ist – belasten die Rheinbrücken sowie die Ein- und Ausfahrten auf die Autobahn.

Wir sind also allein schon aus rein wirtschaftlicher Sicht darauf angewiesen, dass die Menschen in Liechtenstein und der Region möglichst einfach und effizient mobil sein können. Denn jede Minute Stau ist – abgesehen vom Ärger und Stress – auch ein wirtschaftlicher Schaden.

 

Die Herausforderungen sind bekannt

Die Erkenntnis ist keinesfalls neu, dass die Sicherung einer effizienten Mobilität eine der grossen Herausforderungen für Liechtenstein ist. Die Regierung hat dies bereits wiederholt in Berichten und Studien erkannt. Schon im Verkehrsbericht 1997 – also vor 26 Jahren – stellte die Regierung fest, dass die Sättigungsgrenze auf den Hauptachsen erreicht ist und der regionale Binnenverkehr (inkl. Rheintal und Vorarlberg) die grösste Herausforderung in der Mobilität darstellt. Auch wenn der Transitverkehr in einzelnen Gebieten und Gemeinden ein Problem war und ist und gelöst werden muss, so stellt doch der Verkehr mit Ziel und Quelle in Liechtenstein für das ganze Land die grössere Herausforderung dar. Dieser Dringlichkeit war sich die Regierung bereits 1997 bewusst, deshalb hielt sie auch in ihrem damaligen Verkehrsbericht fest, dass die Bewältigung der Verkehrsprobleme eine der dringendsten Aufgaben in der heutigen Zeit ist. Konkret erachtete sie unter anderem folgende Punkte als wichtig:

  • Unnötiger Verkehr soll vermieden werden, dies in Einklang mit der wirtschaftlichen Entwicklung.

  • Die Ausnutzungsquote der Verkehrsmittel muss erhöht werden, insbesondere sollte mehr als eine Person in einem Auto sitzen.

  • Das Zu-Fuss-Gehen und das Radfahren sollen massiv gefördert werden.

  • Der Bus als geeignetes öffentliches Verkehrsmittel soll weiter ausgebaut und gefördert werden.

  • Einzelne Lösungen müssen national, andere wiederum zusammen mit den Nachbarn geplant werden.

  • Dem Verursacherprinzip soll mehr Rechnung getragen werden.

Diese Ansätze haben auch heute noch Gültigkeit und wurden so oder ähnlich auch in neueren Berichten der Regierung (z.B. Mobilitätskonzept 2015 und Mobilitätskonzept 2030) festgehalten. Mehr noch: Die Dringlichkeit, sich dieser Problematik zu stellen, hat sich noch weiter verschärft, denn die Anzahl Zu- und Binnenpendler:innen wächst stetig und die bekannten Nadelöhre Rheinbrücken und Grenzübergänge werden verkehrstechnisch immer stärker belastet.

 

Das Problem löst sich (leider) nicht von selbst …

Trotz mittlerweile zahlreicher Diskussionen, Studien und Sensibilisierungskampagnen hat sich das Problem allerdings nicht von selbst gelöst oder zu einer grundlegenden Veränderung des Mobilitätsverhaltens der Menschen geführt. Im Gegenteil: Die Entwicklung der letzten Jahre spricht eine ganz andere, deutliche Sprache: Die Nutzung des Autos für den Arbeitsweg hat in den vergangenen Jahren weiter zugenommen. Während 1990 noch 66,1 % der Menschen das Auto für den Arbeitsweg nutzten, stieg dieser Wert im Jahr 2020 bereits auf 75,3 %. Im gleichen Zeitraum hat die Zahl der Binnen- und Wegpendler:innen aus Liechtenstein von 54,2 % auf 67,5 % zugenommen. Und noch immer sitzen in einem Pkw durchschnittlich nur 1.04 Personen. Diese Kombination aus der Nutzung des Autos für den Arbeitsweg, der Zunahme der innerliechtensteinischen Binnenpendler:innen, der niedrigen Besetzungsquote sowie der wachsenden Zahl der Zupendler:innen erklärt, warum sich die Situation in den letzten Jahren noch verschärft hat – und die Staus am Morgen und Abend immer länger und länger werden.

 

… und betrifft uns alle

Gleichgültig, welche Lösungen auch angedacht wurden oder werden, diese werden letztlich jeden und jede betreffen. Dazu kommt, dass diesbezügliche Diskussionen häufig sehr emotional geführt werden, denn jeder Lösungsvorschlag – ob mehr Strassen, Verbote, verursachergerechte Kosten, mehr ÖV oder was auch immer – hat spürbare Konsequenzen, die in den meisten Fällen als persönliche Einschränkung wahrgenommen werden. Zudem kommen Streitpunkte wie beispielsweise hohe Investitions- und Betriebskosten für den Staat für neue Verkehrslösungen, Verbrauch von Raum – etwa für neue Busspuren und Strassen oder die Verteuerung der individuellen Mobilität durch eine verursachergerechte Besteuerung. Jeder einzelne Ansatz wirkt sich zwangsläufig mehr oder weniger stark auf uns alle aus. Und je nach persönlicher Betroffenheit werden die Massnahmen auch mehr oder weniger freudig begrüsst.

In einer direkten Demokratie ist es allerdings besonders wichtig, dass eine Mehrheit der Menschen Massnahmen und die daraus resultierenden Konsequenzen mitträgt. Aus diesem Grund werden die anstehenden Herausforderungen sicher nicht von der Regierung oder von der Politik allein gelöst werden können, sondern es braucht eine Bevölkerung, die sich in diese Prozesse einbringt und aktiv mitwirkt.

 

Haben wir überhaupt ein Problem?

Sämtliche Herausforderungen im Bereich Mobilität müssen und können daher nur gemeinsam angegangen werden. Dazu gehört auch ein gemeinsames Problemverständnis. Denn letztlich nützt es nichts, Lösungen für Probleme zu präsentieren, die von einer Mehrheit gar nicht als Problem wahrgenommen werden. Wenn etwa der tägliche Stau auf den Strassen von einer Mehrheit nicht als störend empfunden wird, wird es schwierig, Lösungen zu finden, die in einer Volksabstimmung Bestand haben.

Liegt allerdings ein mehrheitliches Verständnis und ein prinzipieller Konsens über die Herausforderungen vor, dann können auch konkrete Lösungen gesucht und ausgearbeitet werden. Wie diese letztlich aussehen, wird nur eine ergebnisoffene Diskussion in Verbindung mit einem partizipativen, von Expert:innen begleiteten Prozess aufzeigen können. Nur so wird man zu Lösungen kommen, die letztlich von einer Mehrheit gutgeheissen werden – wie immer diese auch aussehen.

Und eines darf man angesichts der langen Zeit, die seit Erkennen der Verkehrsproblematik in Liechtenstein mittlerweile verstrichen ist, nicht übersehen: Jede noch so fundierte Analyse und jede noch so emotionale Diskussion darf niemals Selbstzweck sein, sondern sollte im Idealfall Ausgangspunkt für konkrete Umsetzungen und Schritte sein, um den wachsenden Herausforderungen in Sachen Mobilität gerecht zu werden. Oder wie es Erich Kästner in seinem berühmten Zitat so treffend auf den Punkt gebracht hat: «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es.»

 

Zur Person

Peter Beck studierte Rechtswissenschaften an der Universität St. Gallen. Zudem absolvierte er Ausbildungen zum eidgenössisch diplomierten Steuerexperten sowie zum Executive MBA HSG. Unter anderem bekleidete er bereits mehrere Ämter in der Verwaltung und im Regierungsumfeld und war auch als Mitarbeiter beim Think Tank Zukunft.li tätig. Heute ist er mit seiner Firma C hoch drei GmbH als Kommunikations- und Strategieberater selbstständig.

Peter Beck beschäftigte sich in den letzten Jahren unter anderem mit den Themen Raumplanung und Mobilität und verfasste als (Co-)Autor Studien zu diesen Themen.